Weisheit

Das Ziel von Persönlichkeitsentwicklung

Weisheit ist so etwas wie die Zieldefinition von Persönlichkeitsentwicklung.

Weisheit ist Lebensklugkeit. Weisheit beinhaltet Wissen, geht aber darüber hinaus. Vielleicht kennen Sie auch Menschen, die sehr viel wissen, vielleicht auch sehr intelligent sind, aber in Bezug auf die lebensweltliche Anwendung des Wissens noch viel Spielraum nach oben haben. Eine andere Definition von Weisheit der Weisheitsforscher Staudinger & Baltes ist „Weisheit ist der konstruktive Umgang mit den komplexen Fragen des Lebens“. Unsere Möglichkeiten zu „wissen“ sind limitiert. Wissen verändert sich, nähert sich bestenfalls an „das was ist“ an. Wenn wir die genannte Definition als Arbeitshypothese akzeptieren, müssen wir uns um uns Weisheit anzunähern, fragen wie das Leben eigentlich ist und welche Struktur diese komplexen Fragen haben die es uns stellt. Es ist unsicher, mehrdeutig, unkontrollierbar, nichtlinear, multikausal und vieles mehr. Dabei hätten wir es doch so gerne anders. Wir betreiben einen unglaublichen Aufwand, um es zu trivialisieren, zu vereinfachen, es kontrollierbar zu machen, denn das gibt uns Sicherheit und erfüllt so das vermutlich wichtigste aller Bedürfnisse. Neues erleben wir als unsicher und Unsicherheit macht uns Angst. Die unendlichen Möglichkeiten des Seins überfordern uns und wir müssen, damit wir es einigermaßen bewältigen, Modelle bilden und die Komplexität dramatisch senken. Eigentlich leben wir immer nur in diesen Modellen.

Exkurs:Die Rolle der Bedeutungsgebung

Lassen Sie mich an dieser Stelle auf den ersten und wichtigsten Zusammenhang zwischen Glück und Weisheit zu sprechen kommen, der nicht ganz neu ist. Schon der römische stoische Philosoph Epiktet schreibt: „Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen.“. Es gibt also die Dinge wie sie sind, auf der einen Seite (und schon darüber kann man trefflich streiten) und auf der anderen Seite gibt es unsere Meinungen und Bewertungen von Dingen und Sachverhalten. Für unser Glück ist das erste völlig irrelevant. Wie die Dinge wirklich, wirklich sind hat keinen Einfluss auf unser Leben.

Erst durch unsere Haltung und den damit verbunden Emotionen bekommt etwas Gewicht, durch die Art wie wir bewerten und Bedeutungen zuschreiben. Ob ein Glas halbvoll oder halbleer ist, ist keine Frage der Wassermenge. Bedeutungsgebung ist nie zwingend. Es gibt immer auch eine andere mögliche Perspektive. Tatsächlich sogar unendlich viele. Zu verstehen, dass Dinge nicht so oder so sind, sondern eben mehrdeutig, ist der Kern von Weisheit. Es ist die Flexibilität des Denkens und die bewusste Auswahl von nützlichen Perspektiven, die weise Menschen kennzeichnen. Weisheit ist das Gegenteil von Rigidität. Gelingt es ihnen diese Bedeutungsgebungs- und Bewertungsprozesse bewusst zu steuern erlangen sie absolute emotionale Unabhängigkeit. Wir stellen immer wieder in unserer Praxis fest, dass Menschen an ihren Realitätskonstrukten intensiv festhalten, auch wenn sie nicht nützlich oder erfreulich sind. Sie verwechseln ihre Schöpfung mit der „echten“ Welt. Das ist auch durchaus verständlich. Wir leben in unserer „Matrix“ und diese in Frage zu stellen würde an den Grundfesten, an den Säulen der Welt, rütteln. Dies führt zu einer existenziellen Angst, die es gilt zu überwinden, wenn wir wachsen wollen.

Doch zurück zum Thema Weisheit. Bei den komplexen Fragen des Lebens gibt es meist auch keine einfachen und klaren Antworten, also oft nutzt uns Spezialistenwissen hier nichts.

Weisheit wird einem von anderen zugeschrieben und ist weniger global als situativ, das bedeutet, dass Menschen nicht weise sind, sondern sich zu unterschiedlichen Zeiten mehr oder weniger weise verhalten und dann von anderen das Etikett „weise“ bekommen. Das tun Menschen nach Erkenntnis der Weisheitsforscher Michael Linden und Kai Baumann aufgrund von zehn Fähigkeiten bzw. Eigenschaften[1]:

  • Fähigkeit zum Perspektivenwechsel

  • Empathiefähigkeit

  • Emotionswahrnehmung und –akzeptanz

  • Serenität

  • Fakten- und Problemlösungswissen

  • Kontextualismus

  • Wertrelativismus

  • Nachhaltigkeitsorientierung

  • Ungewissheitstoleranz

  • Selbstdistanz und Anspruchsrelativierung

Weisheit und Lebenszufriedenheit hängen stark zusammen, was keine Überraschung sein dürfte. Wenn Weisheit der konstruktive Umgang mit den komplexen Problemen des Lebens ist, haben dementsprechend weise Menschen weniger Probleme mit dem Leben oder leiden weniger drunter, sind also logischerweise glücklicher.

Nun bleibt noch die Frage zu klären was man tun muss um weise/r zu werden.

Was macht denn weise?

Erstmal muss man überhaupt komplexe Probleme des Lebens haben bzw. gehabt haben. Wir nennen diese einfach einmal Erfahrungen, zusammen Lebenserfahrung. Es wäre aber falsch anzunehmen, es gäbe hier einen Automatismus, also je mehr Erfahrungen desto weiser. Das würde zwar auch für die landläufige Vorstellung sprechen, dass Menschen mit zunehmendem Alter weiser werden. Dem ist aber nicht so. Es gibt kaum einen Zusammenhang zwischen Alter und Weisheit. Das ist eher ein Relikt aus der Zeit, als Wissen mündlich tradiert wurde, also von den wissenden Alten an die jungen weitergegeben wurde. In Zeiten elektronischer Medien, Smartphones und Wikipedia eine Vorstellung, die ziemlich überholt erscheint.

Mehr Erfahrungen machen also nicht zwangsweise weiser. Es gibt einen starken Anstieg im Alter von 15 und 25 und dann statistisch wenig. Hier sind die Befunde aber uneinheitlich. Woran könnte das liegen? Welche Art von Erfahrungen machen wir in unserem Leben? Leider aus Sicht der Glücks- und der Weisheitsforschung nach dem Erwachsenenwerden kaum wirklich neue. Wenn wir einmal „ausgelernt“ sind, unsere Familie gegründet haben usw., also das was heute viele als ihr Lebensziel beschreiben….was dann? Mit 15 bis 25 ist vieles neu. Die Herausforderungen sind mannigfaltig und es gibt jede Menge Probleme des Lebens zu lösen. Danach? Schauen Sie sich in Ihrem Bekanntenkreis um…wie viele Menschen beginnen vorsätzlich etwas völlig Neues, lernen völlig neue Dinge dazu. Statistisch ist die Anzahl dieser Personen fast vernachlässigbar. Deshalb glauben auch viele Psychologen, dass die wesentlichen Persönlichkeitseigenschaften so stabil sind, weil es uns meist recht gut gelingt, die Unsicherheiten des Lebens zu eliminieren. Gelingt das nicht, kommt es zu Krisen, vielleicht sogar zu einem Trauma…und dann?

Eines unserer ersten Experimente führten wir mit Frauen durch, die vor 1930 geboren wurden. Wir suchten für eine Gruppe explizit Frauen die von ihrer Umwelt als „glücklich“ und auch „fröhlich“ beschrieben wurden. In einer Kontrollgruppe interviewten wir Damen des gleichen Alters aber ohne diese Beschreibung. Also befragten wir die „Glücklichen“ und die „Anderen“. Diese Arbeit entbehrte jegliche wissenschaftliche Exaktheit, ja sie war nicht einmal Teil eines echten Forschungsprojektes. Wir machten uns mit allen Damen einen Termin in einem Kaffeehaus aus und befragten sie zu ihrer Lebensgeschichte und Lebenszufriedenheit, insbesondere stellten wir in jedem Interview die Frage worauf sie stolz seien.

Ein Interview ist uns besonders in Erinnerung geblieben. Eine Dame wurde uns als glücklich aber ziemlich schweigsam beschrieben und es bestand die Sorge, dass sie im Interview ziemlich verschlossen blieb. Sie wurde deshalb zur Sicherheit von einer Enkelin begleitet. Die Damen war ein echtes Unikat. Nach kürzester Zeit sprudelten Geschichten aus ihrem Leben aus ihr heraus, interessant, bewegend und spannend. Das Gespräch bei dem sie den Löwenanteil bestritt, dauert über drei Stunden. Wir hatten gemeinsam jede Menge Spaß. Ihre Enkelin war völlig verblüfft und am Ende unseres Gespräches fragte sie ihre Großmutter, warum sie denn bei den ganzen Familienfeiern immer so still sei, wo sie doch so viel zu erzählen hätte. Die alte Dame meinte zur Enkelin: „Weißt du, ich möchte Euch einfach nicht zur Last fallen!“. Ich bin fest davon überzeugt, dass das nächste Familienfest anders abgelaufen ist. Nach Analyse der Interviews zeigte sich ein ziemlich klares Bild auch wenn wir damals nicht irgendwelche Operationalisierungen erfanden und keine Zahlenwerte für unsere Beobachtung vorlegen können. Auf die Frage worauf die Damen stolz waren, antworteten Vertreterinnen beide Gruppen unisono „Auf meine Kinder!“. Dann allerdings teilen sich die Gruppen, wie das Rote Meer vor Moses. Während die „anderen“ bei diversen biographischen Geschichten blieben, folgte bei fast allen Vertreterinnen der „Glücklichen“, eine Geschichte, die alles andere als heiter war. Die Geschichten handelten von Verlusten geliebter Menschen im Krieg, von Entbehrungen und Vergewaltigungen. Das alles wurde aber nicht wütend, oder traurig erzählt, so schlimm diese Erlebnisse auch waren, sondern mit Stolz, denn alle Geschichten handelten davon wie es TROTZ all dieser Greul und Schicksalsschlägen möglich war, weiterzumachen. Wie es gelang die Kinder aufzuziehen, oft alleine im Krieg oder Nachkriegszeit. Wie es gelang ihnen Schulbildung zu ermöglichen und vom Stolz der Mutter was aus den Kindern wurde. Wie sie es trotz allem geschafft haben. Diese Gespräche die mittlerweile mehr als 20 Jahre her sind, haben einen wesentlichen Anteil daran gehabt, dass wir uns mit dem Thema Glück intensiv beschäftigten. Auch schlimmste Erfahrungen, die bei Menschen Symptome verursachen, die wir Trauma nennen, sind unter bestimmten Bedingungen nicht nur in der Lage das zu überwinden und wieder ein Leben wie vor dem Ereignis zu führen. In einigen Fällen, kommt es zu einem zusätzlichen Beitrag in der Persönlichkeitsentwicklung. Die beiden Wissenschaftler Richard G. Tedeschi und Lawrence G. Calhoun haben diese Prozesse erforscht und nennen sie „posttraumatisches Wachstum“.

Auch wenn es glücklicherweise keines Traumas bedarf um zu wachsen, Herausforderungen, ja sogar Krisen sind nach unserer Auffassung nicht nur unvermeidlicher Teil des Lebens, sondern auch Erfahrungen an denen wir wachsen können und weiser werden. Wir brauchen Erlebnisse und Erfahrungen für Wachstum. Wir müssen unsere Wohlfühlzone verlassen, denn darin ist kein Wachstum möglich. Allerdings reicht das nicht, denn es ist nötig diese Erfahrungen auch auf eine spezielle Weise zu verarbeiten und zu integrieren. Die meisten von uns verbringen aber den Großteil ihres Lebens in dieser Wohlfühlzone. Die größten Herausforderung besteht darin, einmal ein anderes Restaurant auszuprobieren. Kein Wunder, dass Psychologen meinen, dass Menschen sich nicht ändern können und Persönlichkeitsfaktoren angeboren sind. Denn es ist ein Fakt, dass sich Menschen in unserer Kultur nur sehr wenig ändern. Der Trugschluss der Persönlichkeitspsychologie ist aber, dass sie das nicht könnten. Sie tun es nicht, weil es nicht nötig ist. Es bleibt in ihrem Umfeld alles beim Alten. Man spürt vielleicht so eine gewisse Leere, so einen Mangel an Sinn und viele fragen sich ob das wirklich alles gewesen ist. Doch gravierende Änderungen sind selten. Wenn sie erfolgen, dann meist überbordend, weil die „Normalität“ nicht mehr auszuhalten war und man dann in die Übertreibung verfällt, einfach alles wegzuwerfen und sich völlig neu zu erfinden. Das ist nach unserer Erfahrung nicht nötig und entwickelte Persönlichkeiten wissen das. Sie regulieren du wählen auch hier den Weg der Mitte. Von einer Brücke mit einem dicken Gummiband am Fuß zu springen kann (wenn auch ziemlich unnötig) ein Erlebnis sein und ein probates Mittel sich selbst etwas zu bestätigen. Das gleiche Ereignis ohne den Sicherungsaspekt hat weniger etwas mit Mut zu tun, als mit blanker Dummheit.

Folgt man dem Entwicklungspfad des Metakompetenzmodells, stellt sich diese Frage sowieso meist nicht. Schon die Ausprägung des Wissenwollens treibt immer wieder zu neuen Erfahrungen und begünstigt schon eine entsprechend konstruktive und hilfreiche Art der Auseinandersetzung. Eine ganze Reihe weitere Fähigkeiten die zur Persönlichkeitsbildung beitragen intensivieren das weiter. Eine extremnützliche Art weise zu werden stellt das Reisen in andere Länder und Kulturen dar. Allerdings nur wenn man auch wirklich mit Sprache, Kultur und Menschen in Kontakt kommt. Club Med und McDonald schauen auf der ganzen Welt ähnlich aus. Man kann sogar Reisen so anlegen, dass man Garnichts Neues erfährt.

Wenn Sie das tun, also die Herausforderung des Lebens annehmen, offen sind für NEUE Erfahrungen, haben Sie den ersten und wichtigsten Schritt gemacht. Dazu gehört Offenheit und Mut. Dann werden Sie über steige Weg zu neuen und oft auch beeindruckend schönen Orten kommen, Sie werden alte Freude verlieren, aber viel spannendere Neue finden. Man wird Sie für verrückt halten, weil Sie „sich das noch antun“ aber ein bisschen Verrücktheit gehört zu einem gelungenen Leben dazu.

Persönlichkeitsbildung ist ein lebenslanger Prozess an dessen Ende zwangsweise der Tod steht. In kaum einem Fall gilt der Spruch „Der Weg ist das Ziel!“, wie in diesem Fall. Er ist sehr mühsam, bzw. kann es manchmal sein, allerdings auch das Lohnendste was man tun kann.

Im Metakompetenzmodell werden alle Weisheitskompetenzen, die Linden und Baumeister nennen in unterschiedlichen Kompetenzbereichen integriert Das Weisheitskonzept hat auch zahlreiche Überschneidungen mit dem was wir „systemisches Denken“ nennen. Der Weg zur reifen Persönlichkeit ist auch ein Weg zur Weisheit. Weisheit ist ein Synonym für gelungene Persönlichkeitsentwicklung.

 

[1] Baumann, Kai, Linden, Michael, 2019, Weisheitskompetenzen und Weisheitstherapie

Kontakt:

Rufen Sie uns an: +43 (0)1 997 19 19

factor happiness - Training & Beratung GmbH
Engerthstraße 126/2
1200 Wien, Österreich

office@factorhappiness.at

Über uns:

factor happiness ist Österreichs führendes Trainings- & Beratungsunternehmen für den Themenbereich soziale Kompetenz im Unternehmen.

So finden Sie uns:

map